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Monatsarchive: Juni 2019

Teil IX – Bestimmung (3)

Marschall
Gneisor Geldwin
von Ochsenstolz

Gneisor

Ser Gneisor, sein Knappe Ingmar und der wie Brangane aussehende Dämon standen gemeinsam im Zentrum des Burghofs. Über ihnen prasselte ein rubinfarbener Strahl aus Magie gegen eine blau schimmernde Wand, die die Limbusverzehrerin schützte. Langsam aber sicher stemmte sie sich über ihnen dem Strahl entgegen und die drei unter ihr konnten die Szenerie gut beobachten. „Halrik scheint sie gut hinzuhalten. Wenn du wirklich das kannst, was du behauptest, dann sag uns, wie wir dir dabei helfen können!“, intonierte Ser Gneisor. Er verließ die Kampfhaltung und deutete auf das Spektakel über ihnen. „Was euer Gelehrter da vollbringt ist gewaltig, doch ist er im Umgang mit der Vortexmagie noch zu unerfahren, um Sara’kiin besiegen zu können“, antwortete Brangane im Plauderton. Alle drei blickten nach oben, direkt über Ihnen sahen sie, wie Sara’kiin mit der einen Hand – in der sich auch ihr Stab befand – von sich gestreckt die magische Wand aufrecht hielt und mit der anderen Hand einige zackige Gesten formte. „Was tut sie da?“, entfuhr es Ingmar. Die Antwort auf seine Frage folgte auf dem Fuße. Direkt hinter ihr öffnete sich ein vertikaler Spalt in der Luft, gerade groß genug für sie selbst. Geschwind schlüpfte sie hindurch und verschwand, als ihr Stab als letztes den Spalt passierte, schloss er sich hinter ihr wieder. Wohin sie verschwand und ob sie dank Halriks Zauber Schaden genommen hatte, war nicht ersichtlich. Die magische blaue Wand zerbarst in tausend kleine sich auflösende Splitter, unter dem anhaltenden Druck des roten Strahls. Die dabei entstehende Druckwelle drückte Ingmar, Brangane und Gneisor wie Zinnsoldaten unter der Last eines Stiefels zu Boden. Der Marschall, der mit angebrochenen Rippen und einem gebrochenen Arm schon schwer genug angeschlagen war und noch dazu Probleme beim Atmen hatte, wurde so heftig zu Boden gedrückt, dass er erneut die Besinnung verlor.

Wie aus sehr weiter Entfernung hörte er eine Stimme. Sie war so weit fort, dass er sie weder einer Person zuordnen konnte, noch dass er ihren Inhalt verstand. Schmerz glimmte, wie ein an einem heißen Praiostag frisch abgebrannter trockener Weizenacker, in seiner Brust. Ihm war schwindelig, nur mit Mühe gelang es ihm ganz langsam die Lider zu öffnen. Er bewegte sich, was er an den klappernden Schritten festmachte, die immer lauter wurden. Und daran, dass der Schmerz in seiner Brust in immer wiederkehrenden regelmäßigen Intervallen kam. „Er hält uns nur auf“, hörte er eine Stimme sagen, die klar weiblich klang. „Ohne ihn wären wir schon alle tot – auch du schuldest es ihm“, sagte im unerschütterlichen Tonfall eine jüngere Stimme, die Gneisor seinem Knappen zuordnen konnte. „Ich schulde ihm gar nichts! Ich mache das nur, damit ich einen weiteren Fleischsack zwischen mir und Sara’kiin habe, der geopfert werden kann“, polterte der Dämon in Gestalt der Ritterin zurück. Inzwischen wurde Gneisor klar, dass sie Stimme zu Brangane gehörte. Und jetzt bemerkte er auch, in welcher Haltung er sich befand. Er wurde von ihr, oder besser gesagt, ‚es‘, über der Schulter getragen! Der Dämon musste über gewaltige Kraft verfügen, denn Gneisor trug noch seine komplette Rüstung. Zusammen genommen, wogen er und seine Rüsung über 100 Stein. „Der ‚Fleischsack‘ kann wieder alleine gehen“, hauchte er mit hohler Stimme aus. Sofort machte Brangane halt und setzte den Ritter ruckartig ab. Ingmar übergab seinem Ritter sofort wieder seinen Anderhalbhänder. Gneisor sah sich um, sie befanden sich im Burgfried auf einer mittleren Etage eines Treppenabsatzes. „Wie geht es euch, Ser?“, erkundigte sich Ingmar im besorgten Ton. Gneisor nickte nur in Richtung des Jungen, für mehr war jetzt keine Zeit – und sein Zustand war in Anbetracht ihrer Situation auch mehr als irrelevant. Hastig, wohl etwas zu hastig, zog er Luft ein, woraufhin das Feuer in seiner Brust wieder stärker wurde. Als er ausatmete, hörte er ein leises Pfeifen. Ihm selbst war bewusst, was bedeutete, eine oder mehrere seiner Rippen hatten seine Lunge durchbohrt und diese füllte sich nun nach und nach mit seinem eigenen Blut. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, bis er nicht mehr atmen und einfach tot umfallen würde. „Wir müssen weiter. Vorran!“ Brangane und Ingmar verloren keine Zeit und eilten sofort los, sie hatten allem Anschein nach ein Ziel und der Marschall folgte ihnen, so gut er konnte. Er konnte und wollte nicht einfach an seinem eigenen Blut ersticken, sondern wenn. dann in einem rondrianischen Kampf fallen.

Die Treppe innerhalb des Burgfrieds stellte sich für den Ritter als schwerste und vielleicht auch letzte Hürde in seinem Leben heraus. Mit jeder Stufe brannte das Feuer in ihm so heiß, dass er glaubte innerlich zu verbrennen. Er spuckte unterwegs mehrmals Blut, stolperte und kratzte mit den Rüstungsteilen gegen die Wände und Treppenabsätze. Ingmar, der aufgrund seiner Treue zu seinem Herrn nicht anders konnte, ließ sich zurückfallen und half ihm, indem er ihn stützte. Brangane machte keine Anstalten noch einmal zurück zu sehen und nach den beiden zu schauen und die beiden Männer hatten zu viel Stolz, um einen Dämon um Hilfe zu bitten. Sie beide wusste,n wie das hier für den Marschall enden würde, doch beide waren auch rondrianisch genug, um nicht aufzugeben. Denn noch gab es hier Feinde und noch hatten sie im Namen der himmlischen Leuin einen Auftrag zu erfüllen. Und nichts würde Ingmar mehr das Herz brechen, als seinen Herrn auf einer Treppe sterben zu sehen. Wenn er schon unbedingt zu Boron gehen musste, dann doch wenigstens in einem Zweikampf, und dabei wollte er ihm helfen. „Kommt schon! Wir haben keine Zeit zu verlieren!“, schallte Branganes Stimme auffordernd von weiter oben durch den Treppenaufgang. „Ich lasse euch hier nicht zurück, Ser!“, brachte Ingmar unmissverständlich zwischen zusammengebissenen Zähnen zu seinem Herrn hervor, während sein Kopf zur Stütze unter Gneisors linken Arm hing. Der Knappe erahnte nämlich schon, welchen pathetischer ‚Lass mich zurück und geht ohne mich weiter‘-Unsinn in den Augen seines Herrn aufblitzte. Gneisors Gesicht war ein einziger Wasserfall, sein sonst so ordentlicher Bart, eine feuchte Wand aus zerrissenen Lianen, an dessen unteren Enden überall Tropfen hingen. Unter seinem nassen Bart kam ein kurzes Grinsen hervor. „Ingmar … das würde … ich dir doch … nie antun. Hier … zu sterben“, flapste er. „Ihr solltet besser nicht reden, Herr.“ Stille folgte, in denen sie wieder fünf Stufen schafften. „Ich sah dich sterben … Ingmar.“ Der Knappe antwortete nicht, da er nicht wusste worauf sein Ritter hinaus wollte. „Vorhin, vor der … Bibliothek … das Ding … hat dein Gesicht … aufgeschlitzt wie eine Arange … du bist leblos … zu Boden … gefallen.“ Gneisor hustete feucht und spuckte wieder einen Flatschen Blut aus. Ingmars Augen wurden tellergroß, er wusste nicht, wovon er da redete, er konnte sich nicht daran erinnern. „Halrik … er … muss dich … geheilt haben.“ Sie erreichten die letzte Etage. Es war ein kleiner Raum, voll mit Fässern voller Pfeile, Bogenständern und ein paar flachen und hohen Kisten mit Wimpeln und allerlei anderem Tand. Ingmar verstand nicht, warum sein Herr ihm das erzählte oder ob er begann zu halluzinieren.
Von Brangane war keine Spur zu sehen. Sie musste wohl schon die Leiter nach ober zur offenen Dachluke genommen haben. Die beiden blickten zur Leiter, zeitgleich war ihnen bewusst, dass Ser Gneisor es in seinem Zustand da nicht herauf schaffen würde.

Teil IX – Bestimmung (2)

Marschall
Gneisor Geldwin
von Ochsenstolz

Halrik

Die Kraft der puren und ungezügelten Magie, die aus Halriks beschworener rötlicher Lichtkugel in seine Hand schoss, wurde nicht schwächer. Sie hielt an, fünf Sekunden, zehn Sekunden, fünfzehn Sekunden … ein permanenter gleißender Strahl, so funkelnd rot, dass man ihn für einen einzigen riesigen Rubin hätte halten können. Nur an der Stelle, an der er auf das bläuliche Schimmern des magischen Schildes traf, zerfaserte er wie ein im Sturmwind flatternder Wimpel zu allen Seiten aus – und das Schild kam näher. Die Limbusverschlingerin, die aufgrund der spektakulären Vereinigung von aufeinanderprasselnder Magie kaum mehr zu sehen war, drückte den roten Strahl langsam, Schritt für Schritt, immer weiter zurück. Dann, wie ein Lichtstrahl der plötzlich eine seit Stunden anhaltende dicke Wolkendecke durchbrach, zerbarst das blaue Magieschild in abertausende kleine bis zum verschwinden glimmende kleine Splitter. Der rote Lichtstrahl konnte nun seinen Weg ungehindert fortsetzen, prallte mit voller Wucht gegen einen dahinter liegenden Wehrturm und binnen eines Lidschlags explodierte er in einer gewaltigen und lauten Explosion. Zerborstene Feldsteine, Mörtel, Holzsplitter und zerfetzte Balken wurden mit einer unbeschreiblichen Wucht aus der Festungsanlage herauskatapultiert. Nichts davon flog, trotz der gewaltigen Kraft des Lichtsstrahls in den Innenraum der Festung. Als dieser dann hindurch war und seinen Weg nun bis an den Ereignishorizont der Kuppel fortsetzten konnte, war der komplette obere Teil der Wehrturms abgerissen und regnete als als zerfetzte Stein- und Holzmasse im Außenbereich der Festung ab. Dann endete der Zauber abrupt. Der rubinfarbene Strahl endete und auch sein magisches Surren verschwand. Halrik senkte seine nunmehr leere Hand, von Sara’kiin war nichts mehr zu sehen, sie war in der gewaltigen Kraft des Zaubers aufgelöst worden. Der junge Studiosus war kaum mehr zu erkennen. Seine Haut war aschfahl und durchzogen von tiefschwarzen fingerdicken Adern, in seinen Augen war kein Weiß mehr zu sehen und sein Haar so schütt, dass es nur noch als ein silbriges Glitzern auf einem ansonsten kahlen Haupt zu erahnen war.

Es kehrte Ruhe ein auf Festung Friedstein. Kein Todes- oder Kampfgeschrei mehr, kein Klackern oder schrilles Zirpen von Abscheulichkeiten. Halrik überblickte von seiner erhöhten Position den Burghof, in dem mehrere Leichen und tote jenseitige Geschöpfe lagen. Er hatte es geschafft, Sara’kiin die Limbusverschlingerin war besiegt, oder gebannt – ganz egal – sie war fort und das allein zählte. Doch noch waren sie nicht sicher, denn sie waren noch immer in der Zeit gefangen, solange sie sich im Innern der Kuppel befanden. Doch eins nach dem anderen. Halrik dreht sich in der Luft und schwebte auf den höchsten Punkt der Festung. Es war die selbe Position, bei der die Katastrophe heute ihren Lauf genommen hatte, als er – zusammen mit seinen Büchern – auf Ser Gneisor stieß und ihm von seiner Erkenntnis berichtete, dass Sara’kiin sich hier auf der Sphäre befindet. Genau dort, wo alles ihren schrecklichen Verlauf nahm, sollte es auch enden – dachte er sich und ließ sich auf dem obersten Turm der Niederrungenfestung nieder.
Er füllte seine Lungen noch einmal mit Luft, die geschwängert war von den Gerüchen nach menschlichem Blut, der zähflüssigen Masse, die in den Körpern der Abscheulichkeiten steckte, die nach Schwefel roch und dem Geruch nach Ozon. Letzterer war durch die ungezügelte Magie entstanden, die er erzeugt hatte. Dann hob er seine Arme in die Höhe und formte damit einen Kelch. Sein Zauber würde sich gegen den unsichtbaren Wall richten, um diesen Ort wieder dem Vortex zu entreißen: „Ausghairm banna áit.“ sprach er aus. Seine Worte kamen dabei ganz natürlich über seine inzwischen pechschwarzen Lippen. Weit über ihm, am Ereignishorizont, zuckten plötzlich Blitzartige Gebilde über den Kuppelrand. Sein Zauber zeigte Wirkung. Halrik wurde lauter: „Ausghairm banna áit!“ Wieder zuckten Blitze, die Risse in dem Membran hinterließen, über den Kuppelrand. Sein Zauber half, er würde ihn nur noch ein paar mal wiederholen müssen und dann wäre die Kuppel zerstört. Erneut setzte er an: „Ausghairm ban …“ Halriks Stimme versagte plötzlich mitten im Wort in einem hellen Krächzen. Da er nicht wusste warum, versuchte er es erneut, doch kein Ton drang aus seinem Mund, dafür schossen ihm aber tiefrote Spritzer über die Lippen, die er vor sich in die Luft versprühte. Verwundert blickte er den Tropfen hinterher. Was war geschehen? – fragte er sich. Hatte er etwa zu viel Magie verwendet? Aber das war unmöglich – schoss es ihm wieder durch den Kopf. Ein Ruck fuhr ihm durch den Körper, verwundert blickte er an sich herab und senkte die Arme. Ein spitzes, vor Blut triefendes Stück Unmetall ragte aus seiner Brust heraus. Er spürte keinen Schmerz, nur einen sanften, kaum spürbaren Druck. Begleitet von einem metallischen Kratzen, das über Knochen fuhr, zuckte das Stück Unmetall wieder aus seinem Körper heraus. Halrik dreht sich um und vor ihm stand ein jenseitiges Geschöpf. Der Körper gehüllt in schwarze, eng anliegende Kleidung, gewoben aus einem Stoff, der so dunkel war, dass es jedes Licht verschluckte, das darauf traf. Nur die Hände, die Füße und der Kopf waren eingehüllt in dunkles Metall. Zacken und dunkle Sigillen waren daran eingearbeitet, im rechten Panzerhandschuh lag eine kurze, dolchartige und filigran dünne Klinge, von der Blut – sein Blut – tropfte. Halrik wollte etwas sagen, er nahm all seine Kraft zusammen, um gegen den Pfropfen an Blut in seinem Hals anzukämpfen. Er hüstelte und gurgelte und dann spuckte er einen Klumpen zähflüssigen Blutes aus. Mit absterbenden Stimme brachte er mit letzter Kraft hervor: „Matral?!“

Aus der Geschichte lernen

Unterdessen in der Akademie Schwert & Stab zu Gareth-Schlossviertel

Drei Mal ertönte ein dumpfes Pochen an der Tür der Scholarenstube. Der Raum war klein und schlicht eingerichtet. Zwei einfache Steckbetten sowie zwei dazugehörige Nachtschränke, zwei sich gegenüber liegende kleine Sekretäre aus Eichenholz und ein großer Kleiderschrank aus einfacher Fichte in der Mitte, den sich Candidatus Voltan mit seinem Stubenkameraden Corelian, der ebenfalls kurz vor seiner Examinatio stand, teilen musste, waren Bestandteil der Inneneinrichtung. „Jaaa, was ist denn da schon wieder?“, zischte der junge Candidatus, der spontan Kopfschmerzen bekam, da es heute schon das dritte Mal war, dass er während seiner Studien gestört wurde. Er schob geschwind ein Lesezeichen an eine Stelle des Codex Albyricus und drehte sich auf dem einfachen Sekretärsstuhl zur Tür herum. Herein flog ein weiterer junger Mann in Voltans Alter. Die Türe war noch nicht ganz auf, da sprudelten schon die ersten Wörter aus dem jungen Magier heraus, er schien sehr aufgeregt zu sein: „Voltan! Ich habe Neuigkeiten! Das wird dich umhauen!“ Voltan schnaufte verächtlich und rollte mit den Augen. Er, der gerade konzentriert, ruhig und angestrengt studierte und nun latent genervt war, hatte im Moment eine gegensätzliche Stimmung zu seinem Stubenkameraden, der allem Anschein nach aufgeregt, laut und überschwenglich war.
Voltans Stubenkamerad schloss die Tür wieder hinter sich und blickte dann verstohlen zu ihm. Er setzte sich dann zackig auf eine nahe Bettkante. „Was gibt es denn so dringendes, Cori?“ Voltan gelang es nicht, seinen Unmut in seiner Stimme zu verbergen, er gab sich allerdings auch keine große Mühe. Passend dazu war besagter ‚Cori‘, der mit vollständigen Namen Corelian Arelis von Gareth hieß, von der Unstimmung seines Gegenübers vollkommen unbeeindruckt und fuhr fort: „Ich war vorhin kurz zu einem Kehlentänzchen im Lichthof …“, begann Corelian im verschwörerischen Tonfall mit gedämpfter Stimme im Plauderton zu erzählen. Mit ‚Kehlentänzchen‘ meinte er ein gekühltes Vollbier zu trinken. Es war üblich, dass sich mit jeder Generation junger Scholaren neue Bezeichnungen entwickelten, die das Trinken von Bier oder Wein auf eine verspielte und neckische Weise umschrieben. Und mit ‚Lichthof‘ meinte er die der weißmagischen Akademie Schwert & Stab nahe gelegene Gastwirtschaft in der Flachshauergasse. Viele Scholaren der Magierakademie verkehrten dort, aber nicht nur die, sondern auch junge Mitglieder der Stadt des Lichts. Da beide Einrichtungen dem Göttervater Praios gefällig waren, hatte sie eine größere Schnittmenge an Interessen und Gesprächsinhalten. Die Wirtschaft, die den passenden Namen ‚Lichthof‘ hatte, warb mit günstigen Spirituosen aller Art und zünftiger Hausmannskost zu jeder Tag- und Nachtzeit. Den Studiosi der Akademie, die nicht viel Handgeld bekamen, aber auch den jungen Praiosdienern, kam dies zupass, denn beide hatten nur wenig Geld zur Verfügung und in ihrer spärlichen Freizeit taten sie das, was alle jungen Männer und Frauen gerne taten. Sie selbst nannten es: ‚Einen Ritt mit der Himmelsstute auf dem Pfad des lieblichen Rauschs absolvieren‘. Eine blumige Umschreibung dafür, sich bis kurz vor der Besinnungslosigkeit mit billigem Bier abzufüllen, dabei allerlei Würfel- und Kartenspiele zu spielen und hin- und wieder ein körperliches und geistiges Kräftemessen zu vollziehen. Für All dies stand der ‚Lichthof‘ in der Flachshauergasse.
„Im Lichthof? Cori – es ist gerade mal kurz nach der Mittagsstunde!“ Voltans Versuch empört zu klingen scheiterte. Was von Corelian nur mit einem verschmitzt wissenden Grinsen quittiert wurde, dem sich auch Voltan nicht erwehren konnte. „Willst du jetzt wissen was ich gehört habe, oder nicht?“, fragte Corelian gespielt empört. „Nun, genau genommen …“, spottete Voltan desinteressiert. Jetzt, da er ohnehin schon gestört und aus seinen Studien herausgerissen wurde, konnte er eine kleine Abwechslung ganz gut gebrauchen und war an der Neuigkeit aus dem Lichthof interessiert. Corelian knuffte Voltan gegen die Schulter woraufhin Voltan bis über beide Ohren grinsen musste. „Nun hör zu, das interessiert dich wirklich … ich meine … wirklich wirklich.“ Corelians wechselte vom Plauderton in einen, trotz simpler Wortwahl, bedeutungsschwangeren Tonfall. Sofort war Voltan klar, dass es sich um keine alberne Komabesäufnisgeschichte oder ein peinliches Rahjaspiel eines Kommilitonen handelte. Sein Stubenkamerad hatte wirklich etwas Ernstes auf dem Herzen. Voltan vollführte eine Geste, um seinen Gesprächspartner dazu zu veranlassen fortzufahren. „Am Nachbartisch unterhielten sich ein ein paar Lichtis miteinander.“ An dieser Stelle soll erwähnt sein, dass ‚Lichtis‘ die sehr gut behütete akademieinterne Bezeichnung für alle Arten von Praiosdienern war. „Ich hörte wie sie sich darüber unterhielten, dass sie zwei Kisten bekommen haben, in denen die Überreste von Greifen drin sind. Beide wurden, mittels eines Dschinns, geschickt von diesem tulamidischen Graumagier aus Punin.“ Nachfolgendes Wort sprachen sie seufzend gemeinsam aus: „Nehazet.“ Voltan und Corelian hatte beide schon von dem Magus gehört, ein Graumagier der im traditionell traviagefälligen Rommilys zum ‚Propheten‘ ausgerufen wurde, konnte schwerlich unbekannt bleiben. Die Entwicklung war für mehrere Tage an der Akademie Schwert & Stab ein heiß diskutiertes Thema. „Doch das ist nicht alles. Es ist nicht der erste Greif der … bei Praios … können die das überhaupt … ‚gestorben‘ ist. Die Kisten sollen aus den Sicheln geschickt worden sein. Dort geht etwas vor, sag ich dir.“ Voltan prustete. Für einen Moment versank er in seinen Gedanken, denn er musste in seiner Erinnerung kramen, um diese neue und geheime Information mit seiner Vergangenheit zu verknüpfen.

„Cori, hast du eigentlich nur eine geringste Ahnung was das bedeuteten kann?“, fragte Voltan, doch Corelian schüttelte nur den Kopf. „Keine Ahnung. Ich wollte dir das nur erzählen, da du dich doch so für Greifen interessierst … ich meine … auf deinem Nachttisch liegt das Verzeichnis der bekannten Greifen und ihrer sagenumwobenen Geschichten. Und jedes Mal wenn wir beim Kehlentänzchen über die Lichtis sprechen langweil … ähh ich meine erzählst du uns eine andere Geschichte von diesen edlen Geschöpfen des Göttervaters.“ Corelian versuchte seinen fast begangenen Fauxpax mit besonders bedeutsam gesprochenen letzten Worten wieder gut zu machen. „Nein, ersthaft Cori … warte …“ Der junge Spichbrecher drehte sich knarzend auf dem Sekretärsstuhl herum, zog ein Buch aus dem Stapel auf seinem Tisch und blätterte hastig darin um. „Dies ist die Chronik aus dem Jahre 1022. Genau genommen aus …“ „Du meinst 29!“, fuhr Corelian harsch dazwischen. Die Kommilitonen führten einen seit acht Götterläufen ausgefochtenen Kleinkrieg zum Thema Zeitrechnung. Voltan hatte von klein auf die Zeitrechung ‚Nach Bosparans Fall‘ beigebracht bekommen und führte diese deshalb auch fort, zumal sie in akademischen Kreisen auch anerkannter war. Corelian hingegen war, wohl auch wegen seiner Blutlinie, ein Verfechter für die neu eingeführte Zeitrechnung ‚Nach Hal‘. Beide jungen Männer blitzten sich kurz an, doch beide wussten, dass jetzt nicht der Moment war um darüber zu diskutieren. Voltan setzte erneut an: „Genau genommen aus dem Traviamond. Es ist eine Auflistung aller bekannter Greifensichtungen. Das besondere daran ist, dass zu der Zeit die Heptarchen versucht haben, Irrhalken über die Schwarzen Sicheln und die Trollzacken zu schicken.“ Voltan deutete mit den Finger auf mehrere Stellen in denen von Greifen und Irrhalken die Rede ist. „Praios sei dank, waren damals die Greifen da, um sie abzufangen – es kam zu vielen erbitterten Kämpfen in der Luft.“ Er schlug die nächste Seite auf, welche eine Schnellskizze von einem Greifen und einen Irrhalken war, die sich in der Luft spektakulär bekämpften. Corelian vergrub sein Kinn in seiner hohlen Hand und blickte angestrengt in die Chronik, unterdessen fuhr Voltan fort: „Vor vier Götterläufen hatte Galotta schon einmal probiert, die Lufthoheit zu erlangen – und war gescheitert.“ Die Jungs nickten beide. Auch wenn sie zu der Zeit erst 14 Götterläufe alt waren, so hatten sie von dem vorangegangenen Krieg, welcher als 3. Dämonenschlacht in die Geschichte eingesehen sollte, und den Gebietsgewinnen der Schwarztobrier alles mitbekommen.
Voltan blätterte erneut um. Neben dem Text, welcher den Kampf zwischen den Wesen des Lichts und denen der Dunkelheit beschrieb, war eine Schwarz-Weiß Zeichnung zu sehen. Es zeigte eine Darstellung mehrerer Greifen, die abstrakt aussehende Flugmaschinen über den Trollzacken angriffen und zum Absturz brachten. „Diese dämonischen Flugmaschinen flogen im Phex- und Perainemond von Schwarztobrien über die Zacken und die Sicheln, nichts – absolut nichts – hätte sie aufhalten können, außen den Greifen. Nur dank ihres selbstlosen Einsatzes wurden sie zerstört, noch ehe sie die Städte erreichten.“ Im Gesicht von Voltans Mitbewohner konnte man sehen, wie er begann zu verstehen, worauf er hinaus wollte. „Moment, willst du damit sagen, dass …“, begann er. „Ganz genau“, beantwortete Voltan dessen Frage, noch bevor er sie zu Ende ausgesprochen hatte. Ein langer Moment der Ruhe folgte. Corelian verstand, worauf sein Kommilitone hinaus wollte und es ließ ihn schlagartig erschaudern. Nervös kratzte er sich am Kinn, während Voltan mit einem lauten Knall die Chronik zuklappte, um dann den jungen Spross des Hauses Gareth mit einem durchdringenden Blick zu belegen.

„Wir müssen das berichten“, brach Corelian mit zaghafter Stimme das Schweigen. Es klang fast wie eine Frage. „Nein, man kann nicht wissen wo die Spione der Heptarchen sich überall verstecken.“ Er legte die Chronik wieder zu den anderen Büchern und klappt auch den Codex Albyricus vorsichtig zu, in dem er vorhin noch gelesen hatte. Dann stand er auf, griff nach seinem Magierstab und sagte: „Ich habe eine bessere Idee.“

Protektorat

Es klebte noch Blut an seinen Händen, als sich Sieghelm von den Zinnen abwandte. Den abgeschlagenen Arm von Ser Geromar hielt er noch immer am Handgelenk fest, so dass das Körperteil des Paktierers schlaff herunter hing. Die Trennung vom Torso war noch nicht lange her, weshalb noch immer tiefrotes Blut aus der von Bothor grob abgetrennten Stelle am Oberarm auf die Steine sickerte. Er blickte auf seine rechte Hand. Sie war so voller Blut, dass das fahle Licht des Madamals sie zum Glitzern brachte. Er spürte auch Haare zwischen seinen Fingern, es waren die Haare des Burgritters, denn nachdem er seinen Kopf mit einem einzigen und mächtigen Hieb abgetrennt hatte, hatte er ihn am Schopf gepackt und bis hier hoch getragen. Als dann der Greif, reitend auf einem aus Alveran geschickten Lichtstrahl, heranflog, warf Sieghelm ihm den Kopf mit all seiner Kraft, aus einem Instinkt heraus, entgegen. Beim Sturz machte der Greif keinen einzigen Laut. Er war so grazil und vollkommen lautlos bei seinem Flug, dass das einzige Geräusch, das der Großmeister vernahm, das Knacken und Zerbrechen des Schädels war, als der Greif seine Krallen tief in ihn hinein trieb. Sieghelms junges Herz pochte ihm bis zum Hals, er hatte aus dem Stegreif eine pathetische und erklärende Rede an die Burgbewohner gehalten – es geschah eben nicht oft, dass ein fremder Reichsritter vorbeikam und den Burgherrn köpfte.

„Ser! Ser!“, erklang die Stimme von Perainius, als dieser die Wendeltreppe mühevoll hinter sich gebracht hatte und nun seinem Ritter laut atmend entgegen stolperte. „Perainius“, entgegnete Sieghelm knapp, sein Blick wandte sich von seiner blutverschmierten Hand ab, während er die darin verklebten Haare des ehemaligen Burgherrn zwischen den Fingern hin und her rieb. „Ser – die Bewohner der Burg – sie …“, Perainius‘ Stimme brach immer wieder ab, da er Mühe beim Atmen hatte, denn er war die Wendeltreppe so schnell er konnte heraufgeeilt. „… sie sind alle – auf die Knie gefallen – was ist passiert. Oh bei der Gebenden Göttin – geht es euch gut, Herr?“ Erst jetzt bemerkte Perainius die Unmengen an Blut auf der Gewandung seines Herrn. Im schwachen Schein, des sich hinter einer Wolkendecke versteckenden Madamals, glitzerten mehrere Stellen des Brokats nur. Er vermochte nicht zu erkennen, woher es stammte. Während Sieghelm seine Rede hielt und der Greif erschien, waren die anderen Ordensmeister inklusive Perainius im Rittersaal geblieben. Sie hatten folglich nicht mitbekommen was geschehen war. Sieghelm nickte nur und ignorierte die Frage des Jungen: „Der Himmel hat sich aufgetan und Ser Geromar wurde vom Herrn des Lichts selbst abberufen. Ich habe soeben ausgerufen, dass Burg Gryffenstein nun zum Protektorat des Ordens gehört.“ Perainius Mund öffnete sich, doch nur ein unartikulierter Laut drang heraus. Seine Augen öffneten sich und er blieb überrascht stehen. Perainius zwang sich dazu etwas zu sagen, doch seine Worte krochen nur zaghaft über seine Lippen: „Der Himmel hat sich aufgetan?“ Erneut nickte Sieghelm und fuhr dann fort, doch dieses Mal blickte er seinen Knappen direkt an. Er hob dabei den abgeschlagenen Arm des Paktierers an und deutete mit dessen leblosen Hand auf ihn. „Wir müssen zügig weiter und wir brauchen eine Vertrauensperson die hier bis zur Ankunft der Inquisition über die Burg wacht – die Menschen hier haben Führung verdient und wir dürfen diese wichtige Grenzfeste nicht ins Chaos stürzen lassen.“ Perainius hob die Hand, legte zwei Finger auf Sieghelms Handgelenk und schob die mahnende und zu jedem Wort zappelte tote Hand vorsichtig von seinem Gesicht weg, während er etwas angewidert zu seinem Herrn blickte. „Ja natürlich, Herr – ihr habt recht. Doch wir kennen hier …“, setzte Perainius an, wurde jedoch von Sieghelm jäh unterbrochen: „Du wirst uns hier vertreten … bis die Praioskirche hier ist, um aufzuräumen.“ Dem Knappen rutsche sein Herz, das bis eben noch bis an den Hals schlug, weil er so eilig gerannt war, nun herab bis in den Schoß. Würde das Madamal nicht ohnehin schon alles in ein fahles Aschgrau hüllen, hätte man sehen können, wie der junge Adelige schlagartig erblich.

Die beiden Darpatier stiegen dann die Wendeltreppe hinab zum Rittersaal, wo sich Nehazet, Jane und Bothor weiterhin mit dem Leichnam des Paktierers beschäftigt hatten. Unterwegs strich Sieghelm das Blut und die Haare von seiner Hand an den Mauern ab, was jedoch nicht viel brachte, da das Blut inzwischen zu großen Teilen getrocknet war. Den abgeschlagenen Arm übergab er an Perainius, denn er diente als Beweis – da das Paktzeichen darauf deutlich zu erkennen war. Die beiden Männer schwiegen während des Abstiegs. Sieghelm, weil er in Gedanken schon hinter den Sicheln war, um Galottas Schergen zu trotzen und Perainius, da seine Gedanken diesseits der Sicheln war und er mühevoll in seinem Gedächtnis nach den Lektionen seines Vaters kramte. Herrschaft, Verwaltung, Führung – und das alles von einer strategisch wichtigen Grenzfestung an den schwarzen Landen. Er wusste, dass er diese Nacht kein Auge zutun würde.

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