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Monatsarchive: Februar 2019

Teil VIII – Interludium (2)

Vidkun

„Ich erachte die Quelle als unzuverlässig“, raunte Vidkun, während er in stolzer Haltung seine dünnen Arme in die Hüften stemmte. Er war an die zwanzig Götterläufe jung, trug einen Wappenrock in den Farben seiner Herrin, einen dunkelblauen Gambeson und einfache Lederteile zum Schutz gegen einfache Hieb- und Stichwaffen. Seine dünnen blonden Haare fielen ihm zur Hälfte ins Gesicht. Auch wenn er noch sehr jung aussah, so konnte ein aufmerksamer Beobachter in seinen dunkelbraunen Augen einen Charakter ausmachen, der viel älter und erfahrener war, als der Körper, in dem er steckte. Ihm gegenüber stand eine in einen schwarzen Umhang gehüllte Gestalt mit einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze. „Du zweifelst an mir?“, zischte eine weder weiblich noch männlich klingende Stimme unter der Kapuze. „Nicht an dir, sondern an der Glaubwürdigkeit deiner Quelle – aus welchem Grund sollte uns …“, versuchte Vidkun es im beschwichtigenden Tonfall, doch er wurde mit einer abschneidenden Geste der verhüllten Gestalt unterbrochen „ … weil wir den gleichen Feind haben, Vidkun – gerade du solltest das am besten wissen.“ Der Junge wandte sich ab und besah sich den Innenraum des Heuschobers in dem die beiden nun schon einige Momente zusammen standen. Von draußen drang heiteres, unbedarftes Lachen durch die Spalten der Bretter. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Er drehte sich wieder zu der verhüllten Gestalt. „Nun gut, nehmen wir einmal an, dass die Quelle uns nicht hereinlegen will – so wie sie es schon immer getan hat – dann hieße das, dass ich allein etwas gegen ihren gefallenen Anker ausrichten kann. Denn ihre Streiterin befindet sich zur Zeit am Hofe in Gareth und ich trage Iribaars Spiegel.“ „Ganz genau“, bestätigte die Kutte zischend. „Sag es mir noch einmal: Warum in Amazeroths Namen soll ich diesen Haufen unbedeutender Wesen retten?“ Vidkun glaubte so etwas ähnliches wie ein schweres Atmen aus dem Innern der dunklen Kutte hören zu können. „Die Quelle verriet uns, dass dort in zwei Tagen ein junger Studiosus dem Buch ‚Jenseits der Sphären‘ eine Information entlocken wird, welche für den Orden sehr wichtig sein wird. Ohne diese Information, werden sie noch viele weitere Jahre im Dunkeln umherirren.“ Vidkun prustete verächtlich. „Sie sind uns wirklich noch so weit hinterher…“, sprach er und schweifte damit etwas vom Thema ab, als er daran dachte, wie wenig der Orden wusste und wie engstirnig sich dieser Schutzorden bisher in seinen Augen verhalten hatte. Für ihn hatten die Bewohner der 3. Sphäre in der langen Zeit, in der ihr gemeinsamer Feind bekannt war, schlichtweg zu wenig erreicht. Der Orden war seines Erachtens der erste Versuch mit Aussicht, etwas Konstruktives zu werden. Wenn sie doch nur jemanden mit mehr Verstand als Muskelmasse an die Spitze gewählt hätten. Vidkun dachte für einen kurzen Moment darüber nach, ob es vielleicht auch nur ein windiger Zug war, den lenkbaren Ritter zum Oberhaupt zu machen, während die klugen Köpfe aus dem Hintergrund agierten und sich damit selbst nicht zur Zielscheibe machten. Besaßen die Bewohner dieser Sphäre etwa doch mehr Verstand als er ihnen zutraute? Die Kutte nickte nach Vidkuns Aussage. Der junge Knecht setze seinen Gedankengang fort: „Jetzt müssen wir also schon – wie sagt man hier – Amme für sie spielen und ihnen dabei helfen, zu Erkenntnissen zu gelangen, zu denen sie schon vor Jahren selbst hätten kommen sollen?“ Von draußen erklang ein Ruf, so als würde jemand gesucht werden. Die verhüllte Gestalt und Vidkun blickten kurz zur Seitentür des Schobers. „Mach dir keine Sorgen, ich habe dafür gesorgt, dass er tief und fest schläft.“ Vidkun deutete auf eine der Pferdeboxen in denen im Schatten ein junger Mann lag, der genauso aussah wie er. Ein Pferdeknecht der Greifenfurter Ritterin. Vidkun stutzte plötzlich. „Sagtest du in zwei Tagen? Ich hörte wie die Ritterin sagte, dass sie erst in drei Tagen an Burg Friedstein ankommen würden.“ Die Kutte nickte wieder. „Dann bleibt mir wohl keine Zeit. Ändern wir unseren Plan ab. Ich werde mich mit Iribaars Spiegel der Limbusverschlingerin stellen und den Studiosus retten.“ Die Kutte nickte wieder und sprach dann zischend: „Du wirst wohl deine Tarnung vor Ort aufgeben müssen. Die Schutzritter werden es nicht verstehen.“ Vidkar musste grinsen, als ihm ein Gedanke durch den Kopf schoss. „Ha, meinst du sie würden mir glauben, wenn ich Ihnen sagen würde, dass unsere Quelle ihre Göttin Hesinde ist, welche uns diese Informationen zukommen ließ und uns dazu brachte ihnen zu helfen? So engstirnig wie sie sind, würden sie es nicht verstehen.“ Wieder erklang der Ruf, doch dieses Mal fordernder. „Ich werde mir etwas überlegen, wie ich vor Ihnen in schon zwei Tagen an Burg Friedstein sein kann, ohne dass es auffällt. Wir sehen uns, wenn das alles hier vorbei ist.“ „Der Prächtige wird dich mit Wissen segnen“, zischte die androgyne Gestalt unter der Kutte und löste sich dann in einen verwehenden schwarzen Nebel auf. Vidkun, der in Gestalt des Knappen war, blieb alleine zurück. Er änderte seine Haltung, ging nun etwas gebückter mit zusammengekrümmten Schultern. Viel weniger stolz und selbstsicher, sondern so wie es sich für einen jungen Pferdeknecht gehörte: unterwürfig. „Hey ja, ich komme, Lady Brangane!“, rief er laut, im unsicheren Tonfall, durch die Bretter des Schobers. Vidkun hatte bereits einen Plan.

Teil VIII – Interludium (1)

Brangane

Es war an einem schönen Feuertag im Peraine, als die Bewohner vom Eilingshof das ruhige Donnern von zahlreichen herantrabenden Pferdehufen vernahmen. Zwei Lanzen Berittener, in den Dörflern unbekannten Farben, näherten sich. Auf dem trockenen Karrenweg lösten sich von den zahlreichen Hufen der Pferde große Staubwolken, die über die frisch gewachsenen Hirsefelder wehten. Auf dem Hofplatz, der gleichzeitig Treffpunkt und Warenumschlagplatz war, eilte eine ältere Magd geschwind in eines der flachen mit Reet bedeckten Fachwerkhäuser. Zwei Winhaller bellten aufgeregt und flitzten auf dem Hof hin und her. Hastig wurde ein Karren mit leeren Fässern zur Seite geschoben. Die herannahenden Reiter, die aufgereiht wie auf einer Perlenschnur hintereinander ritten, denn der schmale Weg bot nicht mehr Platz, erreichten donnernd den Hof. Sofort scherten die Pferde zu beiden Seiten aus und bildeten die Formation eines Halbkreises. Die Muskeln der Pferde zitterten noch, als der Staub des trockenen Wegs bis in den Hof hineingetragen wurde und Jahan Eiling, der Besitzer des Hofs, nach draußen zu den Berittenen kam. Der Dunst fing sich in seinem schwarzgrau meliertem dichten Bart. Er hielt sich ein geblümtes Tuch vor den Mund, was die ältere Magd hinter ihm nicht tat, weshalb sie im Gegensatz ihm husten musste.

„Beruhige die Hunde“, wies er die die Magd mit ruhiger Stimme an und ging dann auf das Zentrum der Reiterlanzen zu.  Noch während die Winhaller Wolfsjäger energisch bellten, trat Jahan Eiling zu dem schwarzen Greifenfurter Kaltblut mit dem dünnen Aalstrich auf der langen Stirn. Selten hatte Jahan Eiling ein so prächtiges Pferd gesehen, zumal sie nur in der Baronie Hexenhain nahe Greifenfurt – also weit weg von hier – gezüchtet wurden. Mit ruhiger Hand tätschelte er den Kopf des Pferdes, berührte achtsam den weißen Aalstrich und sah dann zum Reiter auf. „Es ist ein langer Ritt von Greifenfurt nach Hammerschlag. Eure Pferde sehen müde aus, gerne könnt ihr hier Rast machen. Doch erlaubt mir die Frage zu stellen, was euch hierher führt?“ Jahan Eilings Stimme war ruhig und sein Tonfall ehrlich interessiert. Seine buschigen Augenbrauen tanzten angestrengt über seinen Augen auf und ab, da sich der aufgewirbelte Staub sich noch immer nicht gelegt hatte und er mühsam zum Reiter aufschauen musste. Wortlos griff der Reiter in seine Satteltasche und fingerte eine Depeschenhülse hervor, um sie dem alten Mann zu reichen. „Ein Schreiben von seiner Exzellenz Nehazet“, beschrieb Jahan Eiling als er die Hülse öffnete. Er las den Inhalt des Schreibens und sagte: „Festung Friedstein befindet sich hinter dem Wäldchen – ihr könnt die Wehrtürme von hier aus schon sehen. Dort könnt ihr auch Sir Gneisor antreffen.“ Jahan Eiling deutete mit einer Hand in Richtung der untergehenden, rot glühenden Praiosscheibe.  „Dies hier ist nur ein einfacher Hof, Lady Brangane.“ Den Namen der Reiterin entnahm er dem Schreiben, welches von seiner Exzellenz Nehazet ibn Tulachim persönlich geschrieben und gesiegelt war. Die Reiterin öffnete das Schutzvisier ihres Helms und vom Vorschein kam das markante Gesicht der jung gebliebenen Kriegerin aus Greifenfurt. „Ich danke dir …“ sie machte eine fragende Pause. „Nennt mich Eiling, Jahan Eiling.“ Der alte Mann lächelte mit einem Mundwinkel. „… Eiling. Das Angebot die Pferde tränken zu lassen, nehme ich dankend an. Wir machen nur kurz Rast und werden dann weiter.“ Zu den zwei Lanzen gewandt sagte sie dann im lauten Befehlston: „Absatteln! Tränkt die Pferde – ihr habt zehn Momente – dann reiten wir weiter.“

Brangane von Dunkelfang-Krötenbrunn stieg ebenfalls von ihrem Pferd ab und übergab Jahan Eiling die Zügel ihres Pferdes. „Gib gut auf sie acht“, intonierte sie. Ihre leichte Reiterrüstung hatte viel Staub und Dreck vom Reiten gefangen und bevor sie Friedstein erreichte, wollte sie wieder ordentlicher aussehen. Mit einem Wink ließ sie einen Waffenknecht herankommen, der ihre Rüstung abputzen sollte. „So sauber wie letztes Mal“, ordnete sie mit befehlsgewohnter Stimme an. Ihr Knecht stutzte, nickte dann und wollte gerade loseilen, um das Rüstungspflegeutensilien zu holen, da bemerkte Lady Brangane seinen Blick und hakte nach: „Was schaust du so, Junge?“ Der junge Knecht, der nur einen simplen Wappenrock in ihren Farben trug, zögerte mit der Antwort. Augenscheinlich war er verunsichert. „Raus mit der Sprache!“, tönte Brangane im scharfen Ton hinterher. „Es … es … es steht mir nicht zu euch zu korrigieren, euer Wohlgeboren, aber ich habe eure Rüstung noch nie gereinigt“, widersprach der Knecht im ehrfürchtigen Ton. Lady Brangane kramte kurz in ihren Gedanken. Sie war sich sicher, dass ihre Rüstung schon einmal, kurz vor Ferdok, von ihrem Knecht gereinigt wurde. „Du hast nahe Ferdok meine Rüstung gereinigt. Daran erinnere ich mich genau. Ich musste die Rüstung nicht einmal ausziehen dafür.“ Der Knecht blickte verwirrt hin und her.  Hatte er es etwa wirklich vergessen? Doch etwas selbstsicherer antwortete er dann: „Nein, Herrin – das war ich nicht.“

Teil VII – Märtyrer (3)

Auf den Wällen – Brangane

Mit flinken Füßen eilte die Kriegerin die steinernen Stufen des Wehrturms hinab. Von oben, durch die Dachluke, tönten noch kurz Schmerzens- und Hilfeschreie, doch die Ritterin eilte unbeirrt weiter.  Sie erreicht eine Zwischenebene, welche als Aufenthaltsstube genutzt wurde. Ein paar Regale, Kisten, Kleidertruhen und Schlafstätten standen hier geordnet auf der Zwischenebene. Der Treppenabgang, der weiter nach unten in den Burghof führte, befand sind auf der anderen Seite des Turmrunds. Also rannte Brangane weiter, vorbei an Kisten und Truhen. Plötzlich brach eine der Türen auf, Holz splitterte ins Innere und flog nur knapp an der Ritterin vorbei. Eine der niederen Abscheulichkeiten quetschte sich flink durch den gedrungenen Eingang herein und begann sofort mit seinem außerderisch schrillen Geschrei. Brangane hatte keine Wahl, die Bestie befand sich zwischen ihr und dem Treppenabgang, also machte sie sich bereit und stellte sich sofort kampfbereit auf. Die Bestie verlor keine Zeit und stürmte instinktiv – wenn man davon ausgeht, dass diese Wesen so etwas wie einen Instinkt besaßen – auf Brangane zu. Diese machte im rechten Zeitpunkt einen Schritt nach vorne und presste mit ihrem Schild gegen die tödlichen Fangarme, wobei es unnatürlich laut schepperte. Dann hieb sie mit ihrem Rabenschnabel zu. Der erste Schlag verfehlte sein Ziel nur knapp und kratzte sinnlos über den Chitinpanzer. Die Bestie schrillte auf, doch Brangane schien es nichts auszumachen. Einer der Fangarme versuchte sich am Schild vorbei zu buxieren, doch Branganes Kampfposition war zu geschickt, um sie zu erreichen. Wieder schlug sie zu, dieses Mal zwischen zwei der wehrhaften Panzerplatten. Es knackte laut, als der lange Dorn des Rabenschnabels ins Innere des Wesens eindrang. Die Abscheulichkeit stieß hölzernes Geklapper aus, ehe es von Branganes Rabenschnabel zur Seite gezerrt und gegen einen Schrank geschleudert wurde. Die Bestie prallte so heftig gegen den Schrank, dass dieser unter seiner Last zusammenbrach und einstürzte. Dutzende Gegenstände, Tonkrüge und kleinere Kisten purzelten heraus, zerbrachen und verursachten ein heilloses Durcheinander, ehe sie den nunmehr leblosen Körper des Wesens bedeckten. Branganes Weg war nun frei, sie hielt sich nicht länger auf und setzte ihren Weg fort.

Eine Ebene tiefer hörte sie wieder das schrille Geschrei und Geklapper einer der skorpionähnlichen Abscheulichkeiten. „Bitte, helft mir!“, schrie eine weibliche Stimme. Der Ruf galt Brangane und kam von einer älteren Stallhelferin die zitternd einen Schürhaken, den sie sich wohl schnell zur Verteidigung gegriffen hatte, vor sich hielt. Die Abscheulichkeit direkt vor ihr schien die ältere Frau zu verhöhnen oder auf den rechten Moment zu warten, denn bis auf den Schürhaken gab es eigentlich keinen Grund zu warten. Branganes Blick ging zur Tür zum Hof, der Weg war frei, denn die Stallhelferin und die Abscheulichkeit waren auf der anderen Seite des Turmrunds. „Herrin, bitte! Hilfe!“ Die Stimme der Frau vibrierte vor Furcht und Verzweiflung im Angesicht ihres drohendes Endes. Brangane verlor keine Zeit und rannte – ohne die Frau eines Blickes zu würdigen – schnurstracks auf die Tür zur. Das Zerreißen von Fleisch und Gelenken, gepaart mit Todesschreien, die in ein blutiges Gegurgel endeten, drangen noch zu den Ohren der Ritterin herüber, ehe sie den Ausgang des Wehrturms erreichte.

Der Geruch von Blut und Schweiß wehte kühl über den Wehrhof, als Brangane ihn erreichte. Hier und dort kämpften auf den Wällen und im Innenhof Infanteristen und Bogenschützen gegen die Abscheulichkeiten. Rötliche Blitze zuckten über das Zentrum des Hofes in etwa zehn Schritt Höhe, als die Gestalt von Sara’kiin dort aus einer Art Riss erschien. Als sie komplett hindurchgeschwebt war, schloss sich der Riss mit einem dumpfen Ton. Sara’kiin, der gefallene Anker Saria Fuxfells, schwebte dort in der Höhe. Schwarzweiße Gewänder hüllten sie ein. An den Füßen, Händen und auf dem Kopf trug sie jedoch dunkelschwarzes zackiges Metall, so dass man weder Gesicht noch andere Stellen ihres Körpers sehen konnte. In der linken Hand hielt sie einen gewundenen weißen Stab mit blauen Einschlüssen. Niemand, außer wohl Sara’kiin selbst, wusste, warum sie dort in der Mitte der Festung schwebte. Wie eine Feldherrin, die über das Schlachtfeld blickte, schien auch sie dort, in sicherem Abstand zu allen, der sicheren Eroberung der Festung Friedstein zuzusehen.

Brangane machte eine paar Schritte ins Zentrum des Hofs, sie musste dabei an zwei Leichen von Abscheulichkeiten vorbei laufen. Ihr Blick ging nach oben, Sara’kiin hatte sie wohl noch nicht entdeckt. „Suchst du mich?! Ich bin hier unten!“, brüllte Brangane so laut sie konnte über den mit Kampflärm gefüllten Hof. Sara’kiins eisenbewehrter Kopf blickte herab und als sie Lady Brangane erblickte, drehte sich ihr Körper in der Luft ihr zu. Das heißt, ihr Schwebezustand verlagerte sich von einer stehenden in eine fast liegende Position. Dann streckte sie ihren weißen Stab aus und eine blau wabernde Kugel der Macht schoss direkt auf Brangane zu. Rasch hob die Ritterin ihr Schild über sich und ging leicht in die Hocke. Als die blaue Kugel auf das Schild prasselte, donnerte eine mächtige Explosion über den Hof. Blaues Licht, feine Blitze und wabernde Energie ergossen sich rund um das Schild, doch Brangane blieb wie durch ein Wunder unbeschadet stehen. Noch ehe sie das Schild senken konnte, flog ein weiterer blauer Energieball heran. Erneut donnerte er auf das Schild der Ritterin und drückte sie tiefer in den Boden des Hofs hinein. Auch dieses Mal waberte blaues Licht kugelartig um sie herum und kleine Blitze zuckten zu den Seiten. Brangane zog ihre Füße aus den Furchen, die der Druck auf ihren Körper verursacht hatte. Sie senkte das Schild, streckte sich und blickte zu Sara’kiin stoisch empor. Mit Hohn in der Stimme rief sie: „Mehr hast du nicht drauf? Ich bin enttäuscht!“

Da ihr Blick auf Sara’kiin gerichtet war, sah Brangane die niedere Abscheulichkeit, die sich ihr rasch näherte, nicht kommen. Mit einem Satz flog sie auf die Ritterin zu und riss sie mit der Wucht eines heraneilenden Stiers um. Das stachelbesetzte Maul biss sich tief in Branganes linke Seite, noch im Flug packten die beiden Fangarme der Bestie die Unterarme der Ritterin und verbissen sich darin. Die Abscheulichkeit kam auf Branganes Körper mehrere Schritt von der Position zuvor entfernt zum Liegen. Während das stachelige Gebiss sich tief in den Torso der Ritterin fraß und sie damit fixierte, zogen die mehrgelenkigen Fangarme ruckartig an ihren Unterarmen. Kein Laut drang aus Branganes Mund, während die Bestie auf ihr begann sie auseinander zu reißen. Doch so sehr die Abscheulichkeit auch zog, die Arme blieben am Körper der Ritterin dran, auch der Rabenschnabel und das Schild blieben stoisch in ihren Händen. Plötzlich krochen schwarze Tentakel, erst kleine und dann größere, um den Körper der Abscheulichkeit und begannen sich über ihr zu treffen, binnen eines einzelnen Lidschlags erwuchs auf dem Chitinpanzer der Bestie eine schwarze Masse, diese wuchs immer weiter und bildete rasch Extremitäten aus. Der Körper Branganes verschwand unter der Bestie, auch ihr Schild und der Hammer waren fort und ein durchweg schwarzer Körper, der einer Frau mit Rabenschnabel und Schild glich, hiebte mit einer gewaltigen Kraft auf den Schädel der Abscheulichkeit ein. Der Panzer zerbrach und die Abscheulichkeit streckte leblos alle Extremitäten von sich. Die schwarze Masse erhob sich und nahm plötzlich Farben an – es war der Körper von Brangane, der dort wieder – ohne jedwede Art der Verletzung – stand. „Ist das alles was du kannst? Komm her und stell dich mir!“, brüllte Brangane, die mit finsteren Blick wieder nach oben schaute, als wäre nichts von Belang passiert.

Sara’kiin schwebte herab und landete einige Schritt entfernt von Brangane auf dem Boden. Ihre Bewegungen waren, trotz ihrer bösartigen Gestalt, fließend und grazil. Anscheinend hatte die ehemalige Magierin des Konzils der Elemente einige ihrer Eigenschaften beibehalten.

„Iribaar und ich haben lange auf diesen Moment gewartet – erfüllen wir unser Schicksal und bringen es zu Ende“, sprach Brangane mit bedeutungsvoller Stimme, ehe sie sich bereit machte gegen den gefallenen Anker der Hesinde zu streiten. Der Kampf, den die beiden ausfechteten, konnte von nur wenigen – und dann auch nur zu Teilen – beobachten werden, da die meisten eher damit beschäftigt waren sich selbst gegen niedere Abscheulichkeiten zu wehren. Sara’kiin, die ihre außerderische Magie einsetzte, wechselte häufig die Position, sie verschwand quasi im Nichts, nur um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen. Sie warf zahlreiche blaue Energiebälle, die allesamt an Branganes Schild abprallten. Immer wieder zwang Brangane sie in den Zweikampf, doch diese pendelte ihre Schläge immer wieder mit elfengleicher Grazilität aus. Im Laufe des Gefechts kamen zwei Abscheulichkeiten Sara’kiin zur Hilfe, doch Brangane gelang es, beide mit gezielten Hieben auszuschalten. Irgendwann schaffte die Jenseitige ein Täuschungsmanöver, welches Brangane nicht kommen sah. Sie erschien nach einem Verschwinden nicht wie üblich irgendwo hinter ihr, sondern direkt über ihr. Der weiße, blau durchsetzte Stab traf Brangane am Kopf und brachte sie ins Straucheln. Den winzigen Moment der vorteilhaften Position nutzte Sara’kiin, um einen Bindungszauber auf sie zu werfen und sie damit zu umschließen, ehe sie sich fangen konnte. Dann hob sie Brangane an und schwebte mit ihr in die Höhe, denn Sara’kiin hatte etwas mit ihrer Gefangenen vor.

Teil VII – Märtyrer (2)

Im Innern

Sir Gneisor besah sich den Körper des jungen Studiosus genau. Sein Erscheinungsbild hatte sich drastisch verändert. Seine rosafarbene Haut, die ihn stets jugendlich hat wirken lassen, war einem blassen Teint gewichen, der von dunklen Adern durchzogen war, welche sich sowohl in den Unterarmen als auch am Hals vom Rest der Haut absetzten, wie Steineichenbalken in einem gekalktem andergastischen Fachwerkhaus. Die hellblauen und neugierigen Augen des Abkömmlings des Hauses Tarnel waren ebenfalls dunkel geworden, wie Obsidian, umgeben von einem elfenbeinfarbenden Bett, starrten sie stoisch am Ritter vorbei. Die Gesichtszüge des Jungen schienen im Moment der Gleichgültigkeit erstarrt. Keine Neugier, keine Furcht, kein Schalk und kein jugendhaftes Feuer war mehr im blassen Gesicht zu sehen. Auf dem linken Unterarm des Jungen lag ein aufgeklappter dicker Foliant. Sir Gneisor konnte aufgrund der Lage des Foliants nicht erkennen, um welches Buch es sich handelte.

„Halrik?!“ testete Sir Gneisor mit Vorsicht, aber dennoch fester Stimme an. In der Erwartung eine unwillkommene Reaktion herauf zu beschwören, umklammerte er das Heft seines Anderthalbhänders noch fester. Augenblicklich drehten sich die obsidianfarbenden großen Augen des Jungen zum Ritter. „Sir Gneisor.“ Es lag kein Ausdruck in der unverändert klingenden Stimme. Der Ritter wusste nicht, sollte es seine Frage, eine Feststellung oder gar ein Hilferuf sein. Hinter Gneisor positionierte sich Ingmar, der Knappe des Ritters. Auch er machte sich für einen Kampf bereit. „Halrik, bist du es?“ versuchte es Gneisor erneut, legte jedoch dieses Mal mehr Sanftmut in seine Stimme, so als würde er zu seinem Sohn sprechen. „Ja. Ich bin es“, entgegnete dieser knapp, ohne auch nur einen Hauch von Mimik zu zeigen. „Wir werden noch immer angegriffen und müssen hier raus. Hast du einen Weg gefunden?“ Der Ritter entschied sich, die unwichtigen Teile zu überspringen und gleich zur Sache zu kommen. Womöglich gelang es ihm auf diese Weise zu Halrik durchzudringen. Die Lider des Jungen klapperten mehrmals, als würde er aus einem Tagtraum erwachen. Erschrockene, fast schon ängstliche Mimik flog über sein Gesicht. „Ja, ja … es gibt einen Weg. Friedstein wurde in den Vortex gerissen. So beginnt alles.“ „Wie können wir es rückgängig machen?“ Gneisor lockerte sich etwas, anscheinend war noch genug von Halriks Geist in dem von Dunkelheit durchsetzten Körper. Er fragte sich kurz, ob Halrik wusste, wie er aussah und was mit ihm geschehen war. Doch dann erinnerte er sich an seine eigene Kriegerausbildung. Meist wurden Verletzungen im Rausch des Kampfes einem erst dann bewusst, wenn man darauf hingewiesen wurde. Das Gleiche könnte auch mit Halrik geschehen. Und dieses Risiko konnte und wollte er jetzt nicht eingehen. „Hier im Vortex, sind die Götter abwesend – sie alle. Sie haben keine Macht über diesen Ort, denn sie sind es, die unsere Welt beschneiden und uns die Macht nehmen. Hier … ist die Magie noch frei, denn ALLES ist Magie. Materie, Zeit, Leben … einfach alles … und man kann sie lenken. JEDER kann sie lenken.“ Begeisterung flammte in Halriks dunklen obsidianfarbenden Augen auf, wie ein Kind, dass voller Stolz von seinem ersten Ritt auf einem Steckenpferd berichtet.  „Doch wie hilft uns das, Halrik?“  unterbricht Sir Gneisor die Euphorie des Jungen. Die Gesichtszüge des blassen Halriks erhärten wieder. „Mit … Wortzauberei … wenn man die Worte richtig ausspricht, SIND sie Magie. Ich vermag Burg Friedstein wieder aus dem Vortex nach Dere zurückholen.“ Gneisor glaubte Enttäuschung im letzten Satz des Studiosus zu hören. Der Marschall erkannte: Halriks Geist begann zu korrumpieren. Er musste jetzt an seinen gesunden Menschenverstand und seiner tief innewohnenden Güte appellieren. „Dann rette uns alle, alle die die dir wichtig und teuer sind, und hilf uns, Burg Friedstein und seine Bewohner zu retten!“ „Ja“, hauchte Halrik knapp, und dieses Mal war seine Enttäuschung stark zu spüren, sogar so stark, dass Ingmar es bemerkte. Gneisor hörte, wie sich sein Knappe noch immer nicht gelockert hatte und noch weiter bereit war anzugreifen. „Also gut, was musst … was müssen WIR tun, Halrik?“ Halrik sah nach oben, als könnte er durch die dicken Mauern der Festung hindurchblicken. Vielleicht konnte er es sogar? „Sara’kiin selbst ist der Anker der die Festung hier im Vortex hält – wir müssen sie ausschalten. Dann kann ich uns zurück nach Dere bringen.“ „Dann gehen wir es an, auch wenn uns die Götter hier nicht beistehen können, so können wir trotzdem für sie streiten.“ Die pathetischen Worte des Ritters ließen Halrik kurz zusammenzucken. Dann machten sich die drei auf, den Burgfried zu verlassen. Von draußen drang noch immer leichter Kampflärm, es war also noch nicht vorbei und noch hatte keine Seite gewonnen. Solange es also Menschen gab, die bereit waren ihr Leben geben und ein Schwert zu führen, gab es noch Hoffnung, dachte Gneisor.

Der Marschall, sein Knappe und der Studiosus eilten durch die dunklen Flure des Frieds. Die Tür zum Burghof war offen, im Eingang lag ein Infanterist, sein rechter Arm war ausgerissen und eine dicke Blutlache hatte sich über die Steine ergossen. Die Augen des Mannes waren weit aufgerissen, im Moment seines Todes hatte er wohl mit ansehen müssen, wie ihm sein Arm ausgerissen wurde. Die drei drückten sich am schmalen Eingang an der Leiche des Mannes vorbei nach draußen. Sie hielten alle sofort an, der Lärm des Kampfes war hier viel deutlicher zu hören, als im Innern. Instinktiv stellten sich der Ritter und sein Knappe Kampfbereit um den Studiosus auf. „Dort!“ rief Halrik und deutete in die Luft. In der Mitte des Burghofs schwebte in zehn Schritt Höhe eine abscheuliche Gestalt, gehüllt in schwarzweiße Stoffe und einem metallenen Helm mit sich nach oben hin verjüngenden Spitzen. Ein blau waberndes Leuchten ging von ihrer Hand aus und hielt die nur wenige Meter von ihr entfernte Ritterin Brangane in einem festen magischen Griff. Die Luft zwischen ihnen vibrierte, so dass alles miteinander verschwamm. „Das ist Sara’kiin“, sagte Halrik fast schon ehrfürchtig, und im gleichen Moment traf sie ein Pfeil von der Seite. Das blaue Band erlosch ruckartig und der Körper von Brangane fiel wie ein nasser Sack zu Boden. „Nein!“ brüllte Gneisor, der sofort seine Kampfposition aufgab und auf sie zueilte noch ehe sie den Boden berührte. Ingmar blickte kurz zwischen Halrik und seinem davoneilenden Ritter hin und her, um dann treu hinter seinem Herrn her zu rennen und Halrik alleine stehen zu lassen. Ein tödliches Scheppern klapperte über den Burghof, als der Körper von Brangane samt ihrer Rüstung auf dem Boden aufkam.

Halrik beleckte mit seiner schwarze Zunge seinen Zeigefinger und blätterte in aller Ruhe eine Seite in dem Folianten um. Sein Blick huschte über die Zeilen und dann sprach er: „Snámhphointe.“

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