Neueste Kommentare

Jasper

11. Friskenmond – Avahütt

Erneut saß Magister Grønte am Mittelfeuer des kleinen Weilers. Auf seinen überschlagenen Beinen ruhte sein Diarium. Hastig kritzelte der Griffel, geführt von zittrigen Händen, über die Seiten. So schnell er konnte, schrieb er alles auf, woran er sich erinnerte. Noch nie zuvor hatte er in die Gedanken eines Orks geblickt und die Bilder und Gedanken, die er gesehen hatte, versetzten ihm einen Schrecken. Es war kaum überraschend, dass der Großteil der Bilder verstörend war, dennoch erschütterte ihn die rohe Gewalt, die Blutrünstigkeit und der Hass, der ihnen innewohnte. Es entsprach nunmal nicht Jaspers Natur und er musste gelegentlich aufkeimende Übelkeit mit einem Schluck Meskinnes herunterspülen. Er hatte extra einen Kessel Grüntee aufgesetzt, zu seiner Beruhigung und der der anderen. Doch der heimische Schnaps half ihm gerade mehr dabei die Fassung zu wahren, als sein geliebter grüner Tee.

Der Griffel kam adhoc zur Ruhe. Er hatte gerade das letzte Bild und die damit verbundenen Eindrücke aufgeschrieben. Er atmete erleichtert aus. Es hatte das Gefühl, sich selbst von etwas frei zu machen. Solange die Bilder in seinen eigenen Gedanken rumgeisterten kamen sie ihm vor, als wären sie seine eigenen. Ihren Inhalt aufzuschreiben befreite Jasper von ihnen. Die Last fiel von ihm ab und nun konnte er sich ihnen mit der nötigen Professionalität und Abstand widmen. Das geschrieben Wort war geduldig, es konnte ihm nichts anhaben und zur Not konnte er sein Diarium einfach zuklappen.

Magister Grönte blickte in das prasselnde Feuer, während er über den Sinn seiner Aufzeichnungen sinnierte. Der inzwischen tote Schamane Bykarak war nur ein Leutnant, der einen kleinen Spähtrupp anführte. Tukraz hieß die wahre Bedrohung. Ein Orkschamane, der die Festung Felsteyn im Jarltum Höjre Bodrdal erobern möchte. Diese Information musste auf schnellsten Wege zur Hetfrau. Auch wenn die absurde Anzahl an Orks in der Bilderflut, die er dem Schwarzpelz entnahm, wohl übertrieben war, so würde ein fähiger und mächtiger Schamane durchaus in der Lage sein, mehrere Orkstämme unter sich zu vereinen, um die Festung einnehmen zu können.

Jasper wusste, sie mussten so schnell wie möglich weiter nach Bodon. Dort würden sie dann auf die Hetfrau treffen, um ihr von dieser Information zu berichten. Doch bis nach Bodon waren es noch vier bis sechs Tagesreisen querfeldein durch die gefährliche Wildnis und er hatte heute einen Großteil seiner magischen Kraft verbraucht. Der Angriff auf den Orkschamanen lief nicht gut. Peraine und Hesinde zum Dank war niemand schwer verletzt worden, aber die Gruppe, mit der er reiste, machte ihm nicht den Eindruck, dass sie fähig genug war, einen weiteren geordneten Angriff oder gar eine Verteidigung zu koordinieren. Jasper spürte, dass Spannung in der Luft hing – vor allem zwischen Alrik und Swafleif. Es würde wohl noch eine Aussprache nötig sein, bevor sie weiterreisen. Der junge Hakon hatte gerade schwer mit sich selbst zu kämpfen. Der Weißmagier sah, dass es ihn beschäftigte, das erste Mal ein Leben genommen zu haben. Das Gemüt des jungen Geweihten war zart, womöglich sogar zu zart für diese Aufgabe. Jasper musste an sich selbst denken, noch nie war er gezwungen worden jemanden oder etwas zu töten. Dank seiner Magie war es ihm bisher erspart geblieben – und das trotz der mehreren Kriege und Gefechte, in denen er schon war. Er musste daran denken, wie er wohl reagieren würde, wenn er das erste Mal jemanden würde töten müssen. Kalt und pragmatisch? Oder eher mitfühlend und schuldig? Er hoffte, dass er sich diese Frage nie würde stellen müssen.

Jasper musste erneut an den Häuptlingsschamanen Tukraz denken. Er musste sich in den nächsten Tagen etwas einfallen lassen, wie er die Hetfrau davon überzeugen konnte, ihn nicht zu töten sondern gefangen zu nehmen. Er musste ehrliche, aber nicht zu offensichtliche Argumente finden. Sein Eid als Magier der Gilde des weißen Pentagramms und der Codex Alberycus verpflichteten ihn dazu.

10. Friskenmond – Avahütt

Es ist der Abend des 10. Friskenmonds 2655 nach Jurgas Landung. Magister Grönte sitzt am Mittelfeuer des Grasodenhauses des kleines Weilers. Selbst jetzt, eine Stunde nachdem sein Mündel begonnen hatte eine Orklende anbraten zu wollen, liegt der unangenehm beißende Geruch noch immer in der Luft. Jasper riecht kurz – ohne das es die anderen mitbekommen – an seinem weißen Reisegwand. Wie soll ich diesen Geruch nur wieder raus bekommen? Womöglich muss ich mich da wirklich des Sapefacta-Cantus behelfen – denkt er sich und verzieht für einen Moment angewidert das Gesicht. Nur ungerne würde er für einen so banalen Fall zu einem Zauber greifen wollen.

Behände greift der Magister in seine lederne Tragetasche und holt ein grün eingebundenes Diarium und einen kleinen Griffel heraus, den er in einer kleinen Birkenholzschachtel aufbewahrt hatte. Vorsichtig klappt er das inzwischen in die Jahre gekommene Diarium auf, schlägt die Beine übereinander, um das Buch darauf sorgsam ablegen zu können, und beginnt darin zu blättern. Ein schmales Lächeln macht sich unter seinem dichten braunen Bart breit, als Jasper seine alten Diariumseinträge überfliegt. Die Einnerung an die Zeit, als er zusammen mit Hetmann Tronde auf der Otta Isnendevind nach Albernia aufgebrochen war, versetzt den schmalen Magier in eine wohlige Woge der angenehmen Erinnerungen. Ihm entfährt sogar ein kurzer Ton des angenehmen Glücksgefühls, den zu seinem Glück niemand mitbekommen hat, da alle um ihn herum zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt waren.

Jasper schlägt eine leere Seite auf, lässt den Griffel zwischen seinen Fingern rotieren und schaut hinüber zu Hakon und Swafleif. Der junge Ifirndiener lauscht dem Barden gerade bei einer Anekdote über eine Heldengruppe im vierten Orkensturm. Neben Hakon sitzen da noch zwei der jugendlichen Sprösslinge des Dorfes die ebenfalls an Swafleifs Lippen hängen. Eigentlich wollte Jasper gerade anfangen seinen Tagebucheintrag zu verfassen, doch er gibt sich dem Drang hin, dem Mann mit der Harfe zu beobachten – nicht aus irgendeinem romantischen Interesse heraus – sondern eher aus einem forschenden Drang heraus. Ein interessantes Exemplar der thorwalschen Bardenkunst – dachte er sich. Es entzieht sich meiner Vorstellungskraft, weshalb jemand wie er mit jemanden wie Alrik gemeinsam reist und sie miteinander umgehen, als wären sie Freunde. Die zwei sind ein ungleiches Paar, Swafleif ist Redegewand – gut, typisch für einen Thorwaler auch überaus prahlerisch – aber er ist rhetorisch versiert, was ihm seine Kunst auch nahelegt. Die Lyrik und der Gesang machen ihn wohl zu einem Schöngeist, der im Körper eines grobschlächtigen ‚Seeräubers‘ gefangen ist. Immerhin achtet er deutlich stärker als andere Exemplare seiner Art auf sein Erscheinungsbild. Er geziemt sich zu waschen, seinen Bart zu pflegen und auf die Sauberkeit seiner Kleidung zu achten. Jasper musste daran denken, als er Swafleif dabei beobachtet hatte, wie er akribisch kleinere Flecken in seinen Kleidern versuchte zu entfernen. Der Magier lächelte kurz. Als Magier hatte auch er ein gewisses Maß an Eitelkeit, doch bei einem Thorwaler hatte er diesen Charakterzug noch nie beobachten können. Er wäre eine hervorragende Charakterstudie, wenn ich mehr Zeit dafür hätte  – überlegt sich Jasper und lässt seinen Blick weiter schweifen.

Sein forschender Blick bleibt auf der schlanken, in enger Lederkleidung gehüllten Halbelfin hängen. Sie selbst nennt sich Katrina – Jasper vermutete – dass es nicht ihr richtiger Name ist. Gestalten wie sie pflegen selten ihren wahren Namen, geschweige denn überhaupt je die Wahrheit, zu sagen. Ihr elfisches Erbe vermachte ihr Fähigkeiten, mit denen sie nicht geizt. Sie ist flink, drahtig und behände im Umgang mit kurzen Klingen. Ob sie wohl auch magische Fähigkeiten besitzt? Vielleicht sogar welche, von denen sie noch keine Kenntnis hat? – Jaspers buschige Brauen senkten sich ein wenig. Erneut fingert er in seiner lederne Tragetasche hinein und holt einen kleinen Flachmann hervor. Kurz gönnt sich Magister Grönte eine Nase des köstlichen Meskinnes, bevor er sich einen kräftigen Schluck davon zu Gemüte führt. Der Geschmack der Heimat. Wohlige Erinnerungsfragmente an die kühlen Tage in Norburg durchschießen seine Gedanken. Er denkt an die Schwestern des Hexenzirkels mit denen er gelegentlich abends beisammen saß und bei einer Kräuterpfeife über die Götter und die Welt philosophierte. Manchmal gesellte sich zu der Runde ein Elf – auch wenn er stets die Pfeife ablehnte – so war er ein interessanter und gutaussehender Charakter. Jasper verlor sich damals manchmal in seinen großen Augen und stellte sich vor, mit ihm gemeinsam durch die Wälder zu pirschen. Noch ein Schluck Meskinnes rinnt Jaspers Kehle hinab. Ach hätte ich mich damals doch nur getraut – durchschoss ihn der Gedanke in Bezug auf den Elfen, den er mit dem kühlen Schnaps versuchte auszulöschen. Jasper erinnert sich an die Worte des Elfen, dass ihr Blut stets magisch ist und es dies selbst in unreinen Nachkommen bleibt. Nun – dachte der Weißmagier weiter – ich werde es wohl noch herausfinden.

 

Kommende Termine

  • Keine anstehenden Termine
AEC v1.0.4